Ist Dir kalt, hast Du das Gefühl, Fieber zu bekommen? Eine Erkältung? Im mittelalterlichen Irland des Jahres 1348 wäre es höchstwahrscheinlich keine Erkältung sondern die Pest. Es ist die größte Katastrophe des Mittelalters. Mitte des 14. Jahrhunderts erreicht die Pest, per Schiff aus dem Osten kommend, das Abendland. Kein Gebirge, kein Fluss, kein Meer kann die tödliche Seuche aufhalten. Sie ist die Mutter aller Seuchen, rafft ein Drittel der Gesamtbevölkerung Europas dahin und sie hat Irland erreicht.
Ganze Familien werden in ihren winzigen Häusern eingeschlossen, um zu versuchen, die Krankheit im Haus zu halten. Wenn jemand der Pest erliegt, wird ein weißes "X" an die Haustür gemalt, damit jeder, der vorbeikommt, weiß, dass die Krankheit dort gewesen ist. Wie groß die Furcht ist, zeigen diese Steinmale in Drogheda, Co. Louth, von denen es noch sieben in ganz Irland geben soll. Diese hier findet man auf dem Friedhof von St. Peter's Church of Ireland.
Die anglo-irische Kolonie ist in größerem Umfang und radikaler betroffen als das gälische Irland. Die Pest bricht zuerst in den Häfen der Kolonie aus, wo sie von infizierten Ratten und ihren Flöhen in den Laderäumen von Handelsschiffen oder in Waren übertragen wurde. Laut Bruder John Clyn, einem Franziskanermönch aus Kilkenny, dessen Bericht praktisch der einzige Augenzeugenbericht ist, tritt die Krankheit zuerst in Howth oder Dalkey auf und breitet sich bis Ende Juli oder Anfang August 1348 auf Dublin und Drogheda aus. Im Allgemeinen verlaufen die Übertragungswege in den Rest des Landes über den Landweg zwischen den Häfen und den Marktstädten, über die Flüsse, die die Marktstädte mit den Seehäfen, insbesondere im Osten und Süden, verbinden, und über den Seeverkehr zwischen den Häfen an der Ost- und Südküste. Es liegt damit fast auf der Hand, dass Dublin und Drogheda den Kern der Seuche bilden.
"eine unerhörte Sterblichkeit ..."
Die Pest wütet zwischen August und Dezember in Dublin und gibt ein Muster für den Schrecken vor, den sie in anderen Teilen des Landes verbreiten sollte. Clyn schreibt, dass "die Menschen vor lauter Angst und Schrecken nur selten den Mut hatten, Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit zu verrichten, wie z. B. die Kranken zu besuchen und die Toten zu begraben", und erhaltene Predigten weisen darauf hin, dass Überlebende in Drogheda das Eigentum von Witwen und Minderjährigen beschlagnahmen. Andere reagieren, indem sie auf Pilgerfahrt gehen oder beten. Öffentliche Veranstaltungen werden abgesagt, wie eine beispiellose Unterbrechung in den Aufzeichnungen der Predigten von Richard Fitzralph, Erzbischof von Armagh, zwischen dem 11. Mai 1348 und seiner nächsten Predigt am 25. März 1349 und dann wieder bis zu seiner Abreise aus dem Land im Juni 1349 zeigt. Die Aufzeichnungen über die Parlamentssitzungen zwischen Mai 1348 und Juni 1350 sind völlig lückenhaft, ebenso wie die Aufzeichnungen über die Sitzungen des Justizministeriums.
Zu diesem Zeitpunkt ist die Pest hochgradig ansteckend, so dass "jeder, der Kranke oder Tote berührte, sofort angesteckt wurde und starb". Clyn unterstreicht auch die Verwüstung: "Es gab kaum ein Haus, in dem nicht ein einziger Mensch gestorben war, sondern in der Regel gingen Mann und Frau mit ihren Kindern und der ganzen Familie den gemeinsamen Weg des Todes". Brüder und Klöster waren schwer betroffen: Fünfundzwanzig Franziskanermönche sterben in Drogheda, dreiundzwanzig in Dublin. Von Dublin aus, so berichtet ein Chronist des Franziskanerklosters in Nenagh, breitete sich diese "unerhörte Sterblichkeit" auf die umliegenden Städte und Dörfer aus, von denen viele ohne Einwohner bleiben. Dass es sowohl Lungen- als auch Beulenpest gab, geht aus den anschaulichen Beschreibungen von Bruder Clyn hervor, die die Symptome beider Formen enthalten: Er beschreibt die für die Beulenpest charakteristischen Eruptionen in der Leistengegend oder unter den Achseln, die vor allem durch Flohbisse übertragen werden, aber auch die Kopfschmerzen und das Ausspucken von Blut, die die Lungenpest kennzeichnen. Die Übertragung durch direkten Kontakt war damals in Dublin und Drogheda in den ersten virulenten Phasen des Ausbruchs der Pest in Irland sehr wahrscheinlich.
Die Pest breitet sich aus - in ganz Irland und das sehr schnell
Noch vor Ende des Jahres 1348 ist die Pest nach Louth, Meath und Kildare vorgedrungen; an Weihnachten ist sie in Kilkenny. Clyn berichtet, die Seuche grassiere zwischen Weihnachten und März in Kilkenny habe allein an einem einzigen Tag im März acht Dominikanermönche dahingerafft. Dann verstummt Clyn. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er ebenfalls der Pest zum Opfer gefallen ist. Die Pest dehnt sich im Südosten und Süden aus, New Ross, Clonmel, Cashel, Youghal und Cork. Ein Annalist von Nenagh, wiederum die einzige direkte Quelle für die Verbreitung im Süden, konzentriert sich allerdings nur auf die Todesfälle, die für den Franziskanerorden von Interesse sind. Er berichtet über den Tod von zwei Brüdern in Nenagh am 10. und 29. August. Am 1. November hatte die Pest Limerick erreicht, wo der Tod eines Mönchs vermerkt ist. Danach breitet sie sich höchstwahrscheinlich nach Ennis in der Grafschaft Clare aus, wo der Tod von Matthew Caoch MacConmara, einem Laienpatron der Franziskaner, verzeichnet ist.
Warum die Seuche besonders die anglo-irische Bevölkerung dahinrafft
Die Kürze und die formelhafte Qualität der Einträge in den Annalen lassen vermuten, dass die gälisch-irische Bevölkerung nicht in gleichem Maße betroffen ist, wie die anglo-irische Kolonie. Andere Kommentatoren stimmen dem zu: Geoffrey Le Baker, ein zeitgenössischer englischer Chronist, schreibt, dass die Pest in Irland "die englischen Einwohner dort in großer Zahl tötete, aber die einheimischen Iren, die in den Bergen und im Hochland lebten, wurden kaum berührt", obwohl er hinzufügt, dass die Pest bei einem späteren Ausbruch im Jahr 1357 die gälisch-irische Bevölkerung "unvorbereitet traf und sie überall auslöschte". Im Sommer 1349 behauptete Erzbischof Fitzralph, die Pest habe die "irische Nation" noch nicht erreicht. Auf dem Großen Rat im Juli 1360 wurde beklagt, dass die Pest "so groß und so scheußlich unter den englischen Leibeigenen, aber nicht unter den Iren" sei. Der Hauptgrund für diese Diskrepanz war, dass die anglo-irischen Siedlungen anfälliger für Ratten und Flöhe waren. Die Kolonisten konzentrierten sich vor allem auf Gebiete unterhalb von 600 Fuß Höhe und überließen die bergigen, hügeligen und weniger zugänglichen Gebiete den gälischen Iren, die sich hauptsächlich in unregelmäßigen ländlichen Siedlungskernen oder einzelnen Gehöften ansiedelten und verstreut lebten. Die Sterblichkeit unter den irischen Bischöfen lag bei etwa 18 % und entsprach damit den Schätzungen für die Bischöfe Englands. Die Sterblichkeit unter den unteren Rängen des Klerus war höher, da sie mehr Kontakt zur Öffentlichkeit hatten: Clyn schreibt, dass die Pest so ansteckend war, dass "sowohl der Büßer als auch der Beichtvater gemeinsam ins Grab getragen wurden". Die Franziskaner verloren fast 50 % ihrer Häuser in Dublin und Drogheda.
Der Glaube an die Ordnung der Welt zerbricht - es ist verheerend
Die Auswirkungen dieser ungeheuren Verluste an Menschenleben sind sowohl unmittelbar als auch lang anhaltend. Die Familienstrukturen brechen zusammen. »Manche schlossen ihre todkranken Angehörigen aus Furcht vor Ansteckung in ihren Häusern ein, um sie verhungern zu lassen, andere warfen die kaum erkalteten Leichen auf die Straße«, beklagt Boccaccio. Wo die Pest auftritt, ist der Mensch bald im wahrsten Sinn des Wortes verlassen. Die Repräsentanten der öffentlichen Ordnung fliehen aufs Land, Handwerker stellen ihre Dienste ein, Ärzte weigern sich, Kranke zu behandeln, und nicht minder desolat ist es um die Moral der Kirchenmänner bestellt. Manche Geistliche machen sich lieber aus dem Staub, als Sterbesakramente zu spenden, andere lassen sich ihren geistlichen Beistand fürstlich bezahlen. Sie wissen warum. Eine erschütternde Ahnung beschleicht die Gläubigen: Die katholische Kirche, die einzig wahre Vermittlerin zwischen Gott und den Menschen, hat in der Krise versagt. Wem soll man nun noch Vertrauen schenken, wenn selbst die Gebete und Predigten der höchsten Würdenträger keine Wirkung zeigen?
In den ländlichen Gebieten sind die Grundherren mit einem anhaltenden Mangel an Pächtern, sinkenden Pachtpreisen und Gewinnen konfrontiert. Auf den Ländereien der de Burgh in Meath, Kilkenny und Tipperary bleiben die Besitztümer bis 1351 pachtlos, da keine Pächter gefunden werden können. In den Städten sind die Auswirkungen sogar noch deutlicher zu spüren, da dort mehr Menschen in Quartieren leben, die die Übertragung von Krankheiten begünstigen. Clyn schreibt, dass in Dublin zwischen dem 8. August und dem 25. Dezember 14000 Menschen starben, was einer durchschnittlichen täglichen Sterblichkeit von hundert entspricht und in einem Bericht aus dem Jahr 1351 heißt es, dass "zur Zeit der besagten Pest der größte Teil der Bürger von Cork und andere treue Männer des Königs, die dort wohnten, alle den Weg des Fleisches gingen".
Verwüstete Städte
Die Auswirkungen der Pest auf die Städte ist verheerend. Der Mangel an Arbeitskräften und die daraus resultierende Unterbrechung der ländlichen Wirtschaft bedrohen die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln: Es kommt häufig zu Engpässen. Die Bedingungen für die Überlebenden verschlechtern sich weiter: Die Städte werden zum Ziel von Überfällen wiedererstarkter gälischer Häuptlinge; die daraus resultierenden höheren Verteidigungskosten bedeuten höhere Steuern für eine schrumpfende Bevölkerung. Viele Städte geraten in Zahlungsrückstand und bitten in immer größerer Zahl um Steuererleichterungen, wobei sie sowohl die Pest als auch den Krieg als Ursache ihres Unglücks anführen: Dublin, New Ross und Clonmel bitten im Jahr 1351 um Hilfe. Das Gleiche gilt für Waterford, Drogheda, Youghal und andere. Die Belastungen sind so groß, dass viele Irland ganz verlassen. Verzweifelt versucht man den Exodus einzudämmen; indem man Lizenzen für die Auswanderung oder den Transport benötigt.
Demografische Auswirkungen des Schwarzen Tods
Da die Pest immer wieder auftritt, ist eine dauerhafte Genesung nicht möglich, und es kommt zu einer chronischen, krisenhaften Sterblichkeit. Im Jahr 1361 gibt es "eine große Sterblichkeit unter den Menschen, wobei viele Männer, aber nur wenige Frauen starben", und 1363 gibt es "eine große Sterblichkeit in Irland und besonders in Connacht, Thomond, Kerry und Desmond". Es folgen weitere Pestausbrüche in den Jahren 1370, 1383, 1390-93, 1398 und auch danach in regelmäßigen Abständen. Und dies sind nur die aufgezeichneten Ausbrüche; möglicherweise gab es weitere örtlich begrenzte Ausbrüche, die nicht in den offiziellen Aufzeichnungen vermerkt wurden. In den Jahren 1350 und 1361 wurden Kinderseuchen verzeichnet, und 1370 berichteten die Annals of St. Marys Abbey Dublin von einer großen Seuche, "an der viele Adlige und Bürger und vor allem junge Leute und Kinder starben". Das langfristige Ergebnis ist eine Krisensterblichkeit, eine geringere Fruchtbarkeit und eine tiefgreifende Verlangsamung der Bevölkerungserholung in Irland. Während in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in Europa eine gewisse demografische Erholung eintritt, geschieht dies in Irland erst im 17. Jahrhundert, und zwar aufgrund der anhaltenden Kriege, der Bedingungen de kolonialen Besatzung in Irland und der wiederholten Ausbrüche der Pest.
Noch im 16. Jahrhundert wurde Irland regelmäßig erneut von Pestepidemien heimgesucht. Laut Colm Lennon bricht die Pest in jenem Jahrhundert sechsmal aus. Der letzte Ausbruch, von 1600 bis 1604, fällt mit der Endphase des Neunjährigen Krieges zusammen. In den 1650er Jahren, während der Eroberung Irlands durch Cromwell, führen Krieg, Hungersnot und Pest erneut zu einem Massensterben. Die Pest, von der man annimmt, dass sie seinerzeit mit der New Model Army nach Irland eingeschleppt wurde, fordert erneut außergewöhnlich viele Opfer. Bei der Belagerung von Limerick im Jahr 1651 beispielsweise stirbt jeder fünfte Einwohner und jede fünfte Garnison der Stadt an der Pest, noch bevor sich die Stadt den parlamentarischen Truppen ergibt. Auch ihr Kommandant Henry Ireton erliegt der Pest. Es ist jener Kommandant und Schwiegersohn von Oliver Cromwell, der wie Cromwell, durch blutigste Maßnahmen binnen kurzer Zeit den größten Teil Irlands unterwirft. Er erobert am 10. August 1651 Waterford und Ende Oktober 1651 Limerick, das sich bis dahin noch verbissen unter Hugh O’Neill wehrt. Leider ohne Erfolg. Iretons Truppen verüben eine Reihe von unnötigen Grausamkeiten an der ohnehin schon leidenden gäischen Bevölkerung. Seine Kapitulationsbedingungen sind hart. Er tötet die Widerständler und will auch O’Neill töten, scheitert mit seinem Ansinnen jedoch am Widerstand seiner eigenen Offiziere, die O’Neill als Soldaten und Kämpfer verehren.
In der Welt der Pest tanzen Könige, Papst, Geistliche oder Weltliche, Edelmann oder gemeiner Mann, Greise oder Kinder gemeinsam mit dem Tod – alle kommen sie an die Reihe. Der Schwarze Tod kennt keine Klassenschranken, was sich zunehmend im Motiv des Totentanzes zeigt, an Friedhofsmauern, Kloster- und Kirchenwänden, aber auch in Handschriften, meist mit erläuternden sozialkritischen Bildunterschriften versehen. Zumindest beim Sterben sind alle gleich.
https://www.irishtimes.com/opinion/witness-to-catastrophe-an-irishman-s-diary-on-the-black-death-in-ireland-and-franciscan-friar-john-clyn-1.4215043 https://www.theirishstory.com/2020/03/31/epidemics-in-ireland-a-short-history/black-death/
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