Das ruhige Städtchen Monasterevin im Süden von Kildare ist Außenstehenden vielleicht wegen zweier tragischer Ereignisse bekannt. Eines trug sich vor nicht allzu langer Zeit zu, am 3. Oktober 1975; das andere am 11. Juni 1798.
Im Zentrum der Stadt Monasterevin steht ein prächtig proportioniertes Haus, dessen Fensterfront die Hauptstraße und den Fluss Barrow überblickt, während sich jenseits des Wassers ruhige grüne Felder erstrecken. Es ist ein friedliches Bild und für den zufälligen Passanten nichts Ungewöhnliches in dieser landschaftlich reizvollen Gegend. Doch wenn Mauern sprechen könnten, welche Geschichten könnte Monasterevin House über den Aufstand von 1798 erzählen, als die Straßen rot vom Blut der United Irishmen und der Stadtgarnison waren und was würde es über die grausame Tortur des bekanntesten Sohnes der Region, Father Edward Prendergast, erzählen?
Unschuldig am nächsten Baum erhängt?
Im Jahr 1798 gehörte das Monasterevin House Leutnant Bagot, dem Kommandeur des Infanteriekorps, das Teil der Stadtgarnison ist, als am 25. Mai desselben Jahres die United Irishmen Monasterevin angreifen und einnehmen. Doch noch am selben Tag werden die Rebellen unter schweren Verlusten wieder vertrieben. 68 Menschen bezahlen den Aufstand auf der Main Street mit ihrem Leben. Dann vergehen zwei Wochen bis der Pfarrer der Gemeinde, Pater Prendergast, verhaftet und der Beteiligung an der Rebellion beschuldigt wird. Der vermeintliche Beweis und die einzige Stütze der Anklage: Er sei im Lager der Rebellen auf dem Barn Hill gesehen worden.
Die Überlieferung besagt, dass seine Anwesenheit im Rebellen-Lager im Rahmen seiner priesterlichen Pflichten erfolgte; örtliche Historiker glauben, er habe am Vorabend des Aufstands lediglich die Beichte abgenommen; andere behaupten, er sei der Anführer der Rebellen gewesen. Eine andere Überlieferung berichtet von dem Versuch einer Engländerin, einer Mrs. Rice aus Cherrymills, ihm das Leben zu retten. Als Gast eines Abendessens in Monasterevin House erfuhr sie von der geplanten Verhaftung und wurde unter Vortäuschung einer Krankheit nach Hause gefahren. Ihr Ehemann soll Pater Prendergast vor der Gefahr, die ihm drohte, gewarnt haben, doch Pater Prendergast soll nicht um seine Sicherheit besorgt gewesen sein. Fakt ist: Sein Kriegsgerichtsprozess findet im Monasterevin-Haus statt und es wird ein kurzer Prozess. Danach hängt man ihn, an einem Baum am Ufer des Flusses Barrow.
Pater Prendergasts Leichnam wird in noch dieser Nacht heimlich von Freunden zum Familiengrab auf den Harristown-Friedhof gebracht. Die Inschrift auf einem Kalksteinkreuz über seinem Grab lautet:
Betet aus eurer Nächstenliebe für Pater Edward Prendergast, den ehemaligen Pfarrer seiner Heimatgemeinde, dessen sterbliche Überreste hier beigesetzt wurden. Er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und am 11. Juni 1798 in Monasterevan hingerichtet. Möge er in Frieden ruhen.
Pater Prendergast wurde im Juni 1749 geboren und in Salamanca ausgebildet und geweiht. Jahr für Jahr werden die Ereignisse in einer Gedenkfeier in Erinnerung gerufen. Die Schlacht auf der Main Street wird von den Schulkindern teilweise nachgestellt, dazu eine lateinische Messe und die Army Band spielt. 1899 errichtete die Gemeinde ein Denkmal zu Ehren der Aufständischen.
Kommen wir nun zu den Ereignissen im Jahr 1975
Der niederländische Industrielle Dr. Tiede Herrema ist auf dem Weg zu einer frühmorgendlichen Besprechung im Ferenka-Stahlwerk in Annacotty (Grafschaft Limerick), als er von einer Polizeikontrolle aufgehalten wird. Der vermeintliche Polizist zückt einen Revolver und verfrachtet den überrumpelten 54-jährigen Herrema in einen Fluchtwagen. Im folgenden Telefonat mit der niederländischen Botschaft wird die Freilassung von drei IRA-Gefangenen innerhalb von 48 Stunden gefordert; anderenfalls drohe Herremas Hinrichtung.
Den Behörden wird schnell klar, dass das waghalsige Verbrechen aus überwiegend persönlichen Motiven begangen wird. Bei dem falschen Polizist handelt es sich um den abtrünnigen republikanischen Bombenleger Eddie Gallagher, der im Norden und Süden Irlands auf der Flucht vor dem Gesetz und vor seinen ehemaligen IRA-Kollegen ist, die nun nach ihm suchen. Die unmittelbare Reaktion der Regierung: Keine Deals mit Terroristen. Andererseits - steht nicht sogar das Schicksal der Nation auf dem Spiel? Die irische Wirtschaft liegt nach sechs Jahren Unruhen und dem anhaltenden Einbruch infolge der Ölkrise von 1973 auf den Knien. Ganz abgesehen von der menschlichen Tragödie würde die Entführung und drohende Ermordung des Chefs eines der größten irischen Arbeitgeber sicherlich ausländische Firmen zum Abwandern bewegen und den Aufschwung künftiger ausländischer Investitionen bremsen. Auch der Oberbürgermeister von Limerick appelliert an die IRA - die jegliche Beteiligung bestreitet - einen Waffenstillstand mit dem Staat zu schließen und ihre Ressourcen zu nutzen, "um diesen Mann zu finden und zurückzubringen, andernfalls würden 1200 Menschen arbeitslos sein".
Die 48 Stunden-Frist verstreicht
Eine gefühlte Ewigkeit vergeht. Die Hoffnung schwindet. Dann, eine neue Forderung: Die Entführer verlangen die Schließung des Ferenka-Werks, darauf hoffend, dass die mächtige Muttergesellschaft der Firma die irische Regierung dazu bringt, die Forderungen der Entführer zu erfüllen. Das Werk wird geschlossen. Armee und Polizei starten die größte Fahndung in der Geschichte der irischen Republik. Erfolglos. Mangels konkreter Anhaltspunkte wuchern die Gerüchte. Die Entführer sollen gedroht haben, dem Opfer die Füße abzuschneiden, lautet eins davon.
Endlich, nachdem zwei Wochen ins Land gegangen sind, veröffentlichen die Entführer ein Tonband mit der Stimme von Herrema. Er sagt, er sei bei guter Gesundheit. Gleichzeitig fordern sie erneut 2 Millionen Pfund Lösegeld und einen Flug in den Nahen Osten.
Dann, eines Sonntagmorgens wacht die Nation auf und hört im Radio von einer Razzia der Special Branch im Morgengrauen, unterstützt von Scharfschützen, in einem Reihenhaus im Städtchen Monasterevin in Kildare. Als die Wachen die Eingangstür einschlagen, ziehen sich Gallagher und Coyle mit ihrer Geisel in ein Schlafzimmer im Obergeschoss zurück und schießen wild um sich. Stunden später ist das verschlafene Anwesen in Monasterevin von Sicherheitskräften und Medien überschwemmt. Eine Zeitung schreibt: "Das Hazel Hotel hatte fast kein Essen mehr, und um 14 Uhr stand nur noch Schellfisch auf der Speisekarte." Dann tritt ein hagerer Tiede Herrema ans Fenster und fordert die Polizei auf, sich fernzuhalten. Die Belagerung beginnt. Nach einigen Tagen erhalten die Entführer Lebensmittel in einem Einkaufskorb, der mit einem Seil hochgezogen wird. Aus Tagen werden Wochen. Als nach frischer Kleidung, darunter drei Unterhosen und ein Unterrock, verlangt wird, spekulieren alle darauf, dass die Entführer sich für die Übergabe der Geisel herausputzen wollten. Doch Pustekuchen - sie wollten wirklich nur saubere Unterwäsche. Am 17. Tag bitten die Entführer um Kopfschmerztabletten. Stunden später werfen sie ihre Pistolen aus dem Fenster und kommen heraus. Gallagher dachte, er leide an einer Meningitis und bittet um ärztliche Hilfe. Herrema ist in bester Verfassung. Später vergibt er seinen Entführern mit den Worten: "Sie hätten meine eigenen Kinder sein können. Sie müssen verzweifelte Zeiten durchgemacht haben, um so weit zu kommen."
Die Entführer und ihre Komplizen erhalten insgesamt 71 Jahre hinter Gittern. Gallagher wird mit seiner Geliebten Rose Dugdale im Limerick-Gefängnis wiedervereint, wo sie 1978 als erste verurteilte Häftlinge in der Geschichte des irischen Staates hinter Gittern heirateten.
Herrema stirbt im April 2020, nur zwei Tage nach dem Tod seiner Frau, kurz nach seinem 99. Geburtstag. Er blickt auf ein wahrhaft ereignisreiches Leben zurück. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Herrema von den Nazis verhaftet und in ein polnisches KZ gesteckt, weil er dem niederländischen Widerstand angehörte. Nach seiner Befreiung durch die sowjetischen Streitkräfte legte er 500 km zu Fuß (sic!) bis zu den amerikanischen Linien zurück. Zusammen mit seiner Frau wurde Dr. Herrema 1975 zum irischen Ehrenbürger und zu Ehrenbürgern Limericks ernannt. Beide verließen zunächst Irland, kehrten jedoch 1987 nach Irland zurück.
Nach dem Ende der Geiselnahme und Belagerung verschwindet die Welt, die Dinge beruhigen sich und die Stadt geht wieder ihren normalen Geschäften nach, wobei sie sich gelegentlich über die unerwünschte Aufmerksamkeit beschwert, die sie erhalten hat. Nach einer Weile beschließen Züge aus Dublin in Monasterevin nicht mehr anzuhalten und von den Autofahrern wird der verschlafene Ort nur noch als ein Ort wahrgenommen, den sie mit 60 Stundenkilometern auf dem Weg nach oder von irgendwo durchfahren. Die vergleichsweise junge "Belagerung" ist nur ein Tropfen im Fluss der Geschichte, denn diese Stadt hat viel Blut und Tod gesehen.
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