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Irland - Schweizer Zuflucht bei einem Atomschlag im Kalten Krieg

Liss Ard House, Co. Cork, Irland

Hinter Bäumen verbirgt sich ein weißes, dreigeschossiges Gutshaus aus dem 19. Jahrhundert. Et voilà, dürfen wir vorstellen? Liss Ard Estate, County Cork. Erbaut 1853, nach der irischen Hungersnot von den O'Donovans. Das wäre er also gewesen, der sichere Zufluchtsort für die Schweizer Landesregierung bei einem nuklearen Schlag durch die Sowjetunion. Von hier aus hätte der Schweizer Bundesrat seine Amtsgeschäfte im Exil weiterführen sollen. Wer wissen möchte, was dieses Anwesen mit einem Schweizer Spion, dem Schweizer Armeegeheimdienst und den Exilplänen für die Schweizer Regierung zu tun hat, der ist hier richtig ;-)


Liss Ard House, Co. Cork, Irland

Ganz früher war das Anwesen über 3000 Hektar groß, mitsamt einem kleinen See und dem Seehaus "Glen Teigh" diente es als Sommerresidenz für die O'Donovans. Den Garten umrahmte eine vier Meter hohe Mauer, damit die Einheimischen nichts aus dem Garten stahlen. 1924 verkauften die O'Donovans und zogen sich nach England zurück. Eine neue Familie zog ein - John und Mary-Ellen Connolly mit ihren vier Töchtern. Anfang der 1940er Jahre wurde John Connolly von der britischen Regierung aufgefordert, die Kriegsanstrengungen durch Holzlieferungen zu unterstützen. John Connolly lehnte ab, vermutlich auch unter Verweis auf die irische Neutralität und ließ die schönen Bäume von Liss Ard House stehen. Zwischen 1947 und 1970 wechselten die Besitzer und das Haus diente mal als Hotel, als Restaurant und als Freiluftvergnügungszentrum. Alles ändert sich, als Albert Bachmann Ende der 1960er Jahre Irland bereist.


Spion Albert Bachmann, der Armeegeheimdienst und das nukleare Wettrüsten


Albert Bachmann - der Spion aus der Schweiz
Foto by The Telegraph

Der 1929 in Zürich geborene Albert Bachmann lässt sich während seines Militärdienstes in der Schweiz zum Spion ausbilden und steigt schnell in den Rang eines Obersts auf. Bis 1975 ist Bachmann Chef des privaten Nachrichtendienstes und Kommandeur des Schweizer "Stay behind"-Programms, das seinerzeit aus Eliteangehörigen der Armee bestand, die ausgebildet wurden, um im Falle einer Invasion durch sowjetische Staaten in der Schweiz zu bleiben. Während des Kalten Krieges sieht Bachmann aufgrund der strategischen Lage der Schweiz eine sehr reale Bedrohung durch eine Invasion.


1976 wird Bachmann Chef des Spezialdienstes (Deckname: «Tom») innerhalb der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD, heute VBS). In seinen Aufgabenbereich fallen die Weiterführung der Widerstandsvorbereitungen für den Fall einer Besetzung der Schweiz (später P-26) und der Aufbau eines ausserordentlichen Nachrichtendienstes (später P-27). 1976/1977 kauft Bachmann Liss Ard Estate als "Tarnung" für die Schweizer Regierung und betreibt es als Reitzentrum und Landhotel. Die Schweizer Regierung finanziert mit Bundesbankgeld das Projekt; neben dem Kauf des Anwesens werden damit u. a. Tests für die Funkverbindungen zwischen der Schweiz und Irland finanziert. Bachmann will Liss Ard House für den außerordentlichen Nachrichtendienst nutzen und es soll der Standort der möglichen Exilregierung im Falle einer Besetzung der Schweiz werden. Zu den Plänen gehört auch die Evakuierung der Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank durch die Swissair. Die Regierung überlegt, wie sie verhindern kann, dass Besatzungsmächte auf die Vermögenswerte der wichtigsten Schweizer Unternehmen zugreifen können. Mit Kanada hatte man in den 1950er Jahren bereits eine Vereinbarung unterzeichnet, die es dem Bundesrat ermöglicht hätte, die mitgereisten Schweizer Firmen zu besteuern, um so das Exil zu finanzieren. Um über genügende Mittel zu verfügen, war sogar der partielle Transfer des Nationalbankgolds vorgesehen. Das Gold sollte in Depots in Irland lagern.


Aufgrund der vorherrschenden südöstlichen Winde wäre Irland im Falle eines chemischen Niederschlags aus dem sowjetischen Block der sicherste Ort in Europa ...



und als westlichstes Land in Europa wird West Cork als idealer Standort für ein sicheres Haus für die Schweizer Regierung im Falle einer Invasion oder eines nuklearen Angriffs angesehen. Manche argwöhnen, Liss Ard House böte nicht genügend Platz für die Schweizer Regierung. Das ficht Bachmann nicht an. Er lässt unverdrossen mehrere Cottages und den Pub "Skibbereen Eagle" bauen, der sich durch eine ungewöhnlich große Küche (ausgelegt für 100 Personen) auszeichnet. Wie das SRF schreibt, war alles bereit. Falls der Krieg ausgebrochen wäre, hätte die Schweizer Delegation hier verköstigt werden können, mit frischem Fisch aus dem eigenen Teich.


Das unrühmliche Ende des Schweizer "James Bond"


1979 werden die Exilpläne in Irland abrupt gestoppt. Albert Bachmann fällt wegen einer Spionageaffäre in Österreich in Ungnade. Auf Geheiß Bachmanns soll einer seiner Mitarbeiter die Raumverteidigungsübung 78 der österreichischen Armee ausspionieren. Leider stellt sich der besagte Mitarbeiter dabei reichlich ungeschickt an. Die Zürcher Zeitung schreibt: Ende November 1979 erproben 32 500 Soldaten mit 480 Ketten- und 4200 Räderfahrzeugen in einem grossen Manöver das österreichische Konzept der Raumverteidigung. In der Nacht auf den 19. November beginnt die heisse Phase der Übung. Um halb drei Uhr nachts sitzt in einem abgestellten Wagen bei St. Pölten, der Schweizer Kurt Schilling. Ausgerüstet mit Feldstecher, Landkarte und Notizblock, starrt er ins Dunkle. Plötzlich tauchen Soldaten des österreichischen Bundesheers auf. Sie nehmen an einem Manöver teil und inspizieren das verdächtige Fahrzeug. Doch statt wie erwartet auf ein Liebespaar stossen sie auf einen sichtlich gut informierten Mann, der sich offensichtlich sehr für die Truppenbewegungen im Manövergebiet interessiert. Da er bereits am Vortag beim Fotografieren beobachtet worden war, drehen die Österreicher den Spieß um. Sie observieren diesen Mann. Brav weist er sich in Gesprächen mit österreichischen Unteroffizieren mit seinem Pass aus, penibel hält er alle Feststellungen und Beobachtungen fein säuberlich in einem Notizheft fest. Genau das wird ihm zum Verhängnis. Unter dem Verdacht, für einen fremden Staat militärischen Nachrichtendienst zu betreiben, wird Schilling verhaftet. Intensive Verhöre folgen. Nach und nach bröckelt seine Geschichte. Ermüdet und noch immer ohne Anwalt hält er schließlich dem Druck nicht mehr stand. Er gibt offen zu, von Oberst Bachmann für den ausserordentlichen Nachrichtendienst angeworben und ausgebildet worden zu sein. Er habe bei der Firma Metallwaren Holding AG eine Scheinanstellung angetreten, um für Bachmann spionieren zu können. Schilling wird inhaftiert. Damit ist auch Albert Bachmann kompromittiert. Umgehend erfolgt seine Suspendierung. In der Pressemitteilung des Eidgenössischen Militärdepartements heißt es, ein Spionageauftrag sei gar nicht nötig gewesen, da eine offizielle Delegation von den Österreichern zur Manöverbeobachtung eingeladen worden sei. Spöttische Schlagzeilen "Der Spion aus Emmental" folgen. Der Nachrichtensender 20 Min berichtet: "Am 22. November 1979 ereignete sich eine der grössten Peinlichkeiten der jüngeren Schweizer Geschichte. Die österreichische Polizei verhaftete den Schweizer Kurt Schilling in Amstetten – jenem Ort, der zuletzt durch die Affäre Fritzl zu trauriger Berühmtheit gelangte. Der Betriebsberater aus Zug hatte ein Manöver des Bundesheeres ausspioniert und sich so dilettantisch verhalten, dass er mühelos enttarnt wurde. Vor Gericht erklärte Schilling: «Ich sollte herausfinden, wie lange Österreich einem Angriff aus dem Osten standhalten könnte.» Dabei berief er sich auf einen «Führungsoffizier» in Bern."


Deckname "Y"


Als Folge der Spionageaffäre wird Oberst Bachmann Ende 1980 mit 51 Jahren aus dem Bundesdienst in die Frühpension entlassen. In einem als geheim klassifizierten Zusatzbericht kommt die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats damals zum Schluss, Oberst Bachmann stelle kein Sicherheitsrisiko dar, "solange er in seiner Ehre nicht ungebührlich verletzt wird und finanziell nicht in die Enge getrieben wird". Bachmann zieht sich nach Irland zurück. Als er 1976 zum Chef des Spezialdienstes ernannt wurde, war das Thema Irland dienstlich aktuell. Doch Bachmann interpretierte seinen Auftrag, im Ausland Szenarien für einen «Exilstandort» des Bundesrats durchzuspielen, sehr grosszügig. Ein Angebot des britischen Geheimdienstes MI6, mit dem die Schweiz eng zusammenarbeitete, lehnt Bachmann ab. Stattdessen entscheidet er sich für den Standort Irland, dem er den Decknamen «Y» gab.


Wo Patti Smith, Nick Cave, Van Morrison und Bono nächtigen


1989 kauft ein Zürcher Galerist Liss Ard House. Es wird zu einem beliebten Treffpunkt für Künstler. 2021 wird das Anwesen für geschätzte 3,5 Mio. EUR an US-Investoren verkauft. Liss Ard befand sich seit mehr als 25 Jahren im Besitz der Familie Stern aus der Schweiz und wurde fünf Jahre zuvor für 7,5 Millionen Euro auf den Markt gebracht. Im Jahr 2019 wurde die Preisvorstellung auf 5 Millionen Euro gesenkt, aber es fand sich kein Käufer. Nach der Covid-19-Pandemie, die zu einem unerwarteten Anstieg der Nachfrage nach hochwertigen Landgütern geführt hatte, findet Liss Ard doch noch einen Käufer. In einer Erklärung sder Investmentfirma heißt es: "Liss Ard war ein Fall von Liebe auf den ersten Blick. Es ist ein altes Anwesen in einer der schönsten Gegenden der Welt. Die natürliche Schönheit, die reiche Geschichte und die kulinarischen Vorzüge von West Cork haben uns schon lange angezogen. Liss Ard, ein ehemaliger Künstlerort in West Cork, verfügt über 25 Zimmer und bietet Platz für 60 Gäste im Haupthaus, in einer Lodge am See und in vier Nebengebäuden. Das Anwesen hat im Laufe der Jahre viele bekannte Gäste beherbergt, darunter Patti Smith, Nick Cave, Van Morrison und Bono. Auch die Darsteller der letzten Star-Wars-Filme wohnten hier, als sie auf Skellig Michael drehten. Zum Gelände gehören Waldspaziergänge, Landschaftsgärten, ein privater See und der berühmte "Irish Sky Garden", der von dem bekannten US-Bildhauer James Turrell entworfen wurde.


Der Schweizer James Bond


Kommen wir noch einmal auf Albert Bachmann, spöttisch von den Medien "James Bond der Schweiz" betitelt, zurück. Ihn interessieren die Schlagzeilen wenig. Er genießt seinen vorzeitigen Ruhestand. "Ich liebe es, mit Pferden zu arbeiten", sagt er in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen RTS, das ihn 1981 auf dem Reithof von Liss Ard House besucht. Sein Vorgesetzter schrieb seinerzeit über Bachmann, er sei eine "schillernde Persönlichkeit, mit abenteuerlichen Zügen" und einer "vorwärtsdrängenden Phantasie", welche "ständig neue Sicherheitsrisiken" schaffe. Fakt ist: Es gab mehrere erstaunliche verdeckte Operationen Bachmanns - keine davon war offiziell von der Regierung genehmigt. Bis heute wird auch gerätselt, was es mit dem Schweizer Gold auf sich habe. Sind während des kalten Krieges tatsächlich Goldreserven der Schweizer Nationalbank nach Irland geschafft worden? Und falls ja, wo sind sie? Lagerten sie in den Kellergewölben von Liss Ard House? Albert Bachmann wird uns dazu nichts mehr sagen können. Am 12. April 2011 stirbt er nach kurzer Krankheit in seiner Wahlheimat Irland.



Buch Irland wie es nicht im Reiseführer steht von Lisalina Sagner

Quellen:






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